Frau Güldenpfennig: Die Drucksache lag in der Beschlussvorlage vom
16.04.2015 im Landkreis vor und der Kreistag hat beschlossen, den anliegenden
Maßnahmekatalog in die Ausschüsse des Kreistages, außer in den
Rechnungsprüfungsausschuss, zur Beratung zu verweisen. Der Maßnahmekatalog ist
fortzuschreiben, der Kreistag ist 2015 und 2016 halbjährlich schriftlich über
den aktuellen Stand zu informieren. So liegt uns dieser Tagesordnungspunkt vor.
Ich denke, die Verweisung in die Ausschüsse ist eigentlich nicht so verkehrt,
Diskussionsbedarf besteht und wir haben das hier gerade in den Minuten vor
unserer Sitzung gemerkt, dass ein aktives miteinander Reden über Probleme, die
auftreten, die im normalen Umgang, im normalen Tagesgeschäft auftreten,
eigentlich für uns ganz, ganz wichtig sind, um vielleicht auch Lösungsansätze
und Ergänzungen zu diesem Maßnahmekatalog letztendlich zu finden. Auf der
anderen Seite, auch um des Öfteren festzustellen, dass Dinge erledigt sind, das
ist gut angekommen, hier gibt es noch Probleme. Das waren eigentlich
einführende Worte von mir. Ich denke, wenn von Ihnen Ergänzungen, Hinweise,
Diskussionen kommen, dann bitte ich jetzt um Ihre Ausführungen.
Herr Rettig: Dass dieser Maßnahmekatalog erstmal in die Ausschüsse
geht, ist wichtig; es gab ja in den zurückliegenden Jahren mehrere
Veranstaltungen, die sich mit dieser Problematik überhaupt befasst haben. Wenn
ich da nur einige Probleme mal rausgreife, dann wäre jetzt erstmal interessant,
was sich seitdem überhaupt entwickelt hat und was gehört jetzt in dieses
Konzept, was der Kreistag beschließen soll, hinein. Was hat sich verändert?
Verändert seitdem hat sich sicherlich die Zahl der Flüchtlinge, vielleicht auch
die Vielfalt der Nationalitäten durch Kriege, aber was insgesamt geblieben ist,
ist die Problematik. Willkommenskultur, Integration, Umgang mit Flüchtlingen
und 2011 wurde bereits herausgearbeitet, es gibt zu wenige fremdsprachige
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kindertagesstätten, Schulen und
Verwaltungen, d. h., die, die aufgrund ihrer eigenen Herkunft keine
Sprachhemmnisse, keine Sprachschwierigkeiten haben; es ging darum, den Einsatz
oder die Anerkennung ausländischer pädagogischer Berufsabschlüsse einzufordern,
um diese Personen, die mit entsprechenden Voraussetzungen zu uns kommen als
Flüchtlinge oder Asylbewerber, dann verstärkt mit in Kindertagesstätten
einzubeziehen. Wir haben sogar mal soweit formuliert „Mehr Männer in die Kindertagesstätten“. Jetzt
wollen wir mehr männliche Asylbewerber einbeziehen. Da fehlt mir jetzt immer
der Rückfluss, wie weit sind wir dabei gekommen.
Was passiert jetzt, wo die
Kindertagesstätten belegt sind, wo wir darüber nachdenken, Anbauten, Container
o. ä. zu machen. Wird das dann nicht eine Stätte, ein Container, wo vorwiegend
oder überwiegend Kinder mit Migrationshintergrund untergebracht werden?
Es gab zahlreiche
Veranstaltungen, es gab zahlreiche Hinweise, es gab Erfahrungsberichte, aber wo
stehen wir jetzt? Weil das, was jetzt kommen muss aufgrund der veränderten
Zahlen und der veränderten Nationalitäten, das gehört eigentlich in dieses
Handlungskonzept rein; so wie das im Moment steht, ist es Makulatur.
Herr Stoll: Das Erste, was ich mir rausnehmen möchte aus ihrer
Rede, sind die Anbauten an die bestehenden Kita. Wenn wir davon ausgehen, dass
alles Kindertageseinrichtungen sind mit einer bestehenden Betriebserlaubnis,
das ist eine Kinderzahl oder Platzzahl von 50 bis 70, vielleicht auch mehr, und
wir da Anbauten realisieren mit jeweils bis zu 30 Plätzen, dann ergibt sich aus
der Natur der Sache, dass wir keine reinen Kitas haben werden, wo nur
Asylbewerberkinder untergebracht sind; dass da eine Durchmischung der Gruppen
erfolgt, das liegt dann beim Träger, das so zu organisieren. Wir bauen ja nicht
außen an ein Gebäude an, machen einen extra Eingang und lassen dann nur die
Kinder aus der Gemeinschaftsunterkunft reingehen und wieder rausgehen. D. h.,
es ist eigentlich eine Erweiterung der Kapazität, die es ermöglichen soll, die
Warteliste von deutschen Kindern und von Kindern mit Migrationshintergrund dort
aufzunehmen und demzufolge stellt sich für mich aus jetziger Sicht nicht die
Frage, ob das eine reine Kita für Menschen mit Migrationshintergrund wird, sondern
es wird eine Kita für alle Kinder aus der Stadt Stendal und für den Landkreis
Stendal.
Die anderen Sachen, z. B. die
Mehrsprachigkeit, die da gewünscht ist, die wünsche ich mir auch in jeder Ausschreibung. Im Moment gibt es eine laufende Ausschreibung
zum Finden von Sozialarbeitern. Wir haben bisher bei 5,5 Sozialarbeitern, die
wir bei uns in der Gemeinschaftsunterkunft haben, eine Person, die
Muttersprachlerin einer anderen Sprache ist, also eine andere Sprache
mitbringt. Englisch ist beim Großteil der Mitarbeiter vorhanden, im Zweifel
dann auch mit den Händen. Ich will einfach noch mal sagen, wir haben Probleme,
einen Sozialarbeiter als Fachkraft zu finden, so wie es das Land in der
Betreuung von Asylbewerbern in einer GU oft vorschreibt. Und da wird es uns
noch schwerer fallen, jemanden zu finden, der möglicherweise die arabische
Sprachen kennt bzw. auch selber spricht. Von daher ist das, denke ich mal, auch
so wie es 2011 besprochen wurde, ein Wunsch, den wir bis heute nicht erfüllen
konnten. Denn auch das Thema Sozialarbeiter, da brauchen wir uns nichts
vormachen, in der gesamten Bundesrepublik, im Bundesland Sachsen-Anhalt sucht
im Moment jeder Landkreis händeringend nach diesem Berufsbild, weil es die
Vorgaben gibt, in einer Gemeinschaftsunterkunft sollen Sozialarbeiter die
Betreuung darstellen. Und von daher ist ein gut ausgebildeter Sozialarbeiter
eine Rarität auf dem Arbeitsmarkt.
Die anderen Themen, Herr
Rettig, da würde ich dann gerne noch mal drauf eingehen, da müssten wir uns die
Ergebnisse der einzelnen Workshops noch mal angucken und aufgreifen als
Stichpunkte und würden die dann hier in den Maßnahmekatalog hineinfließen
lassen und demnächst beantworten.
Frau Hartel: Ich würde gerne noch mal drauf hinweisen, dass am
Samstag die Veranstaltung ist vom Netzwerk „Integration durch Sport – fit und
fair“, dass sich speziell auch an Kinder mit Migrationshintergrund richtet.
Dort haben Sportvereine die Möglichkeit, ihren Verein vorzustellen, die
Sportart, und somit vielleicht Mitglieder auch mit Migrationshintergrund zu
gewinnen. Ist vielleicht auch noch mal eine ganz gute Sache.
Frau Zacharias: Also mir fehlt bei dem Konzept ein bisschen die
andere Seite. Jetzt sind ganz viele
Vorschläge gesammelt, was man Migranten oder Flüchtlingen anbieten kann, wie
man sie integrieren kann, und mir fehlt so ein bisschen, wie mit der
Bevölkerung hier gearbeitet wird. Ich hab aus meiner Arbeit in der stationären
Jugendhilfe die Erfahrung gemacht, dass weder die Mitarbeiter noch die
Jugendlichen überhaupt eine Ahnung haben, wo die Leute herkommen, was sie hier
wollen. Und ich finde, da ist ganz viel Bedarf. Auch in Schulklassen müsste man
noch mehr arbeiten, vielleicht könnte man das in Kooperation mit der Hochschule
machen. Man kann in Klassen gehen und erzählen, wo kommen die her, was ist da
los in dem Land, warum sind die gezwungen, diese Strapazen auf sich zu nehmen,
dass sie mit Kleinkindern unterwegs sind. Also ich habe jetzt die Erfahrung
gemacht. Wir haben eine Familie im Kindergarten, was die uns persönlich an Erlebnissen erzählt
haben, das denke ich, kann sich kaum einer vorstellen. Und da müsste man noch
vielmehr das Verständnis der Bevölkerung fördern. Ich hab so das Gefühl, viele
bemühen sich, Vereine und irgendwelche Einrichtungen, und auf der anderen Seite
gibt es ganz viele, die Angst haben und die denken, die „Neuen“ wollen ja
einfach nur ein Stück von unserem Kuchen abhaben.
Herr Kloft: Ich würde jetzt in dasselbe Horn stoßen. Das
merken wir gerade in Stadtsee III unter der Bevölkerung. wo es eben sehr
schwierig ist, mit rein logischen Argumenten zu kommen; es brodelt tatsächlich
in den Aufgängen, gerade, weil da ja auch Leute hinziehen, die aus der
Gemeinschaftsunterkunft ausziehen, angesiedelt werden in den Wohnungen in der Umgebung.
Das hat viel mit verstehen zu tun, bei ganz vielen ist Angst, die reden über mich, die wollen mein Geld
haben und die nehmen mir Angebote weg, die da sind. Das ist eine sehr große
Angst, die bei sehr vielen Leuten da ist, und die sich vor allem auch rechte
Organisationen zu Nutze machen über Facebook usw., auch mit Aufklebern an Häusern, an Wohnungstüren
von Migranten usw., die deutliche Zeichen setzen, welche Auffassung sie haben.
Und ich denke, das ist ein sehr gefährlicher Punkt, wo dringend was gemacht
werden muss und wo es wahrscheinlich nicht reicht, zu sagen, wir haben die
Stendaler Migranteninitiative, die sollen sich mal irgendwie kümmern, sondern
da muss irgendwie mehr kommen. Das ist eine große Herausforderung. Sonst geht
das irgendwann schief, schlägt evtl. auch in körperliche Gewalt um und dann
sagt hinterher jeder, ja, wussten wir ja alle nicht.
Frau Güldenpfennig: Wir könnten da erstmal ergänzen: Was in der Kita
beginnt, eigentlich mit den Gesprächen, auch mit den Eltern, muss in den
Grundschulen und in anderen weiterführenden Schulformen fortgesetzt werden. Wir
haben ja die Kinder nicht nur in den Grundschulen, wir haben sie in den
Sekundarschulen, wir haben sie am Gymnasium, und ich denke, da ist eigentlich
die Aufklärungsarbeit über die Eltern in diesen Bereichen gefordert. Und das
muss auch dokumentiert werden. Vor 15 Jahren hatten wir an den Gymnasien oder
weiterführenden Schulen dieses Problem nicht, jetzt stehen wir davor. Wir
hoffen, dass die Arbeit da auch Früchte trägt, die positive Arbeit, die wir
auch in den Schulen leisten können, um eben solche Auswüchse nicht durchschlagen
zu lassen. Das ist ganz wichtig. Nicht nur Verwaltung, Ehrenamt, Politik, da
gehört Familie, da gehört Schule, da gehört eigentlich alles mit dazu. Und das
hat hier auch noch ein bisschen gefehlt, dass es weitergeht.
Frau Borkowski: Der Dialog mit der Aufnahmegesellschaft ist ein ganz
wesentlicher Punkt, und das sieht man gerade jetzt in den Austauschforen in den
Grundschulen. Aber es ist nicht nur die Aufnahmegesellschaft, sondern es sind
auch die schon bereits anwesenden Migranten und Migrantinnen, die wir haben,
weil deren Status z. T. geändert wird. Also alle, die aus dem Kosovo seit
Jahren hier sind in Stendal, sind plötzlich von der Duldung betroffen, obwohl
sie einen Aufenthaltstitel hatten. Und das ist ein Problem, weil für die sind
die neuen Flüchtlinge wirklich auch eine Gefahr; wenn die nicht kommen würden,
könnten sie ja vielleicht hierbleiben. D. h., wir haben auch da ein Konfliktpotential
unter Migranten und Migrantinnen, was es nicht zu vernachlässigen gilt. Und was
mir hier in dem Papier auch noch ein bisschen fehlt: Es ist ja jetzt sehr auf
Willkommenskultur ausgerichtet, aber wir
haben ein Problem: Wenn wir mit allen im Stadtteil sprechen, dann stellt sich das
größte Problem für Migrantinnen und Migranten, die schon länger hier sind, in
der Frage vom Berufseinstieg dar. Die
ist hier noch gar nicht mit berücksichtig. Es geht hier jetzt um Kita-Plätze:
Aber es gilt auch, die Wirtschaftsunternehmen dafür zu sensibilisieren, wie die
Migranten in eine Berufsausbildung kommen – das fehlt mir hier.
Herr Rettig: Man hat das Gefühl, dass ein Mediziner im
Johanniterkrankenhaus oder selbst als niedergelassener Arzt schneller eine Anerkennung
seines Berufsabschlusses erreicht als ein Sozialpädagoge oder Erzieher. Ist das
so oder sind bei den Flüchtlingen einfach keine mit entsprechendem
Ausbildungsprofil und wo liegt dann die Ursache, dass diese Berufsabschlüsse
nicht anerkannt werden, dass wir sie nicht einsetzen können in Kindertagesstätten
oder anders: Sind einfach keine dabei oder gibt es da einen Fördertopf über
Bundesgesetzgebung oder ähnliches? Bisher
hat das nie eine Rolle gespielt.
Herr Stoll: Also zunächst ist es so, dass wir im Asylverfahren
keine Kenntnis davon haben, mit welchem Bildungsstand die Familie zu uns kommt.
Spätestens wenn sie dann nach
Anerkennung des Flüchtlingsstatus zum Jobcenter gehen, wird das erste Mal
darauf geachtet bzw. wird geprüft, welche Voraussetzungen da sind und da ist es
natürlich so, dass wir oftmals feststellen, dass viele Familien im Zweifel auch
als Analphabeten zu uns kommen und gar keine Vorbildung da ist. Wer mit einer
Bildung kommt als Akademiker oder Ingenieur oder wie auch immer, da ist auch in
den ersten Tagen der Ankunft zu merken, dass diejenigen sich gleich bemühen und
versuchen, irgendwelche Netzwerke aufzugreifen bzw. zu erkennen oder
herauszufinden, wie sie mit ihrem Abschluss weiterkommen können. Wir merken das
gerade bei der Anerkennung von Akademikern bzw. von Ärzten. Wenn sie aus
anderen Ländern hierherkommen, müssen sie einen C 1-Abschluss in der Sprache
haben, das ist nahe der Muttersprache, damit sie als Arzt hier in Deutschland dann
anerkannt und auch tätig sein dürfen. Aber wir wissen alle, welche
Möglichkeiten zum Erlernen der deutschen Sprache bei uns bestehen.
die, wenn sie hierherkommen
aus anderen Ländern, einen C 1-Abschluss in der Sprache, das ist nahe der Muttersprache,
ich glaube, C 2 ist Muttersprache, und C 1 müssen die dann in der Prüfung
ablegen, damit sie als Arzt hier in Deutschland dann anerkannt und auch tätig
sein dürfen. Andersherum haben wir aber, und da schließt sich wieder der Kreis,
das Problem, sie wissen alle, wir haben oft drüber gesprochen, welche Möglichkeiten
zum Erlernen der deutschen Sprache bei uns nur bestehen. Das sind oftmals
Vereine oder Verbände, die sich im Ehrenamt aufgebaut haben und versuchen ein
bisschen, die deutsche Sprache beizubringen. Für C 1-Niveau ist ein
Goethe-Institut o.s.ä. prädestiniert, um das Niveau rüberzubringen. Wir haben
also gar keine Möglichkeit, Deutsch als Fremdsprache hier zu lehren. Unsere
Volkshochschulen sind dafür auch nicht ausgelegt, um Deutsch als Fremdsprache
zu unterrichten. Und von daher ist der Teil der Anerkennung der Sprache einer,
der uns immer wieder daran hindert, hier die Anerkennung des Berufes umzusetzen
und einer von vielen, das muss man auch ehrlich sagen, denn es gibt auch
Abschlüsse in anderen Ländern, die es so bei uns nicht gibt oder die man nicht
parallel ziehen kann und sagen kann, was ist das jetzt für ein Niveau. Das
fängt bei der Meisterausbildung an und hört beim Bachelor oder Master auf.
Frau Voigt: Im Jobcenter ist es genau der Einstieg: Zum ersten
Mal offenlegen, was sie beruflich gemacht haben und ganz oft tritt das Problem
auf, dass sie sagen, ich habe diesen Abschluss, aber keinerlei Nachweise. Sie
stehen nachweislos in Deutschland und können das nicht beibringen und tragen
vor, dass sie alles Hals über Kopf verlassen mussten. Wir vermuten, o.k., der hat eine Ausbildung
gemacht, das kann man irgendwo dann auch schon ein bisschen erkennen, das er
sicherlich eine Schulbildung genossen hat, aber ohne Nachweise kann man hier in
Deutschland nicht weiterkommen. Es ist
auch so, dass manche bewusst sagen, wir haben das nicht.
Herr Wulfänger_: Was spricht denn dagegen, den Abschluss auf den Tisch
zu packen
Herr Kloft: Man weiß
nicht, ist es tatsächlich verloren oder wird das nur nicht ausgehändigt.
Frau Güldenpfennig: Manche sagen, sie haben es verloren, um den Nachweis
nicht bringen zu müssen.
Frau Voigt: Manche bringen ihn nicht, weil er nicht entsprechend
ist.
Herr Stoll: Ein Name auf einer Urkunde eines Abschlusses ist ein
Identitätsnachweis und mit einem Identitätsnachweis kann man bestimmte
Herkunftsländer ersehen.
Frau Voigt: Und dann geht die Abschiebung schneller.
Herr Stoll: Und das ist eigentlich die Hauptursache.
Frau Voigt: Das ist kompliziert und wir haben uns auch erstmal gewundert,
weil wir es nicht verstanden haben, und denn hört es sich im Hintergrund so an,
das es was mit dem „dass ich noch hierbleiben kann“ zu tun hat.
Herr Dr. Kühn: Ich muss Herrn Rettig in der Hinsicht auch Recht
geben, vielleicht sind unsere Ansprüche auch zu hoch. Deutsch als Fremdsprache
– das hat kaum jemand studiert oder gelernt, da gibt es ganz wenige Lehrer in
Deutschland oder Sachsen-Anhalt. Aber wir haben genug Deutschlehrer oder andere
Lehrer, die der deutschen Sprache mächtig sind, aber die dürfen diese Kurse
nicht machen. Kann man das in der Übergangsphase nicht außer Kraft setzen?
Herr Rettig: Da kommen wir nie raus. Nie.
Herr Stoll: Darauf kann ich im Moment nicht antworten, aber ich
weiß, was sie meinen. Wir sind auch mit dem Kultusministerium in Verbindung.
Aber dafür müssen sich dann auch Kreis- und städtische Volkshochschulen ein bisschen öffnen und die Möglichkeiten auch
anbieten. Wir haben das ja auch schon mal kundgetan, dass das Innenministerium
da ein Förderprogramm auflegen will, um die Deutschkurse innerhalb des
Asylverfahrens auch zu fördern und zu finanzieren, das ging ja sonst erst ab
der Aufenthaltserlaubnis. Auf dieses Programm wartet ein jeder im Moment. Ich
gehe nicht davon aus, dass es vor der Sommerpause noch kommen wird, also eher
im September oder Oktober. Aber darüber soll es dann wohl möglich sein, Lehrer,
die Deutsch als Muttersprache hatten und das auch kennen, in der Form mit
einzubinden, dass die auch unterrichten können.
Frau Güldenpfennig: Wir haben uns vorhin auch gerade über die Kinder und
die Förderung in der deutschen Sprache unterhalten und da hat Herr Kloft gerade
auf Bildung und Teilhabe hingewiesen. Können Sie dazu noch was sagen?
Herr Kloft: Diese Information habe ich vom entsprechenden
Mitarbeiter des Landkreises bekommen. Momentan probieren wir das aus, ob es
funktioniert. Wir haben die ersten Kinder jetzt dementsprechend von den Lehrern
geschickt bekommen und gucken jetzt, wie das läuft und dann können wir
wahrscheinlich mehr dazu sagen, wenn es angelaufen ist.
Frau Güldenpfennig: Das ist eine Sache, die hier auch noch nicht
drinsteht.
Herr Rettig: Aber das ist auch schon ein ganz entschiedener
Hinweis auch für Lehrer, wenn jetzt in den Grundschulen in Grieben oder in Lüderitz
die Gespräche geführt werden; die Lehrer
müssen das von Anfang an wissen.
Frau Güldenpfennig: Das ist ein Formular, ich habe das auch schon gehabt,
wir haben das auch unterschrieben. Bei uns gab es da überhaupt keine Probleme.
Und wir sind über jedes Engagement glücklich, dass wir das auf alle Fälle
unterstützen und ich denke, da wird es von der Lehrerschaft überhaupt keine
Probleme geben.
Herr Kloft: Es ist aber nicht für jeden.
Frau Voigt: Nur die, die diesen Status nicht haben, die sind
schon wieder außen vor.
Frau Hartmann: Ich wollte
noch mal auf den Punkt Integrationslehrer zurückkommen, das ist Mangelware. Und
das ist mit den Sozialarbeitern genauso. Da gibt es die
Erziehungswissenschaftler, da gibt es die Erzieher, die haben ja auch Pädagogik
im Unterricht gehabt. Die können wir nicht nehmen, weil es keine Sozialarbeiter
sind. Das ist eigentlich auch schade, da liegt ein Potenzial offen, die würden
es gerne machen und die würden es auch können, aber da ist die Politik
gefordert. Das kann doch nicht sein! Wir wollen die jungen Leute hierbehalten.
Wie wollen wir denn das machen?
Das Andere ist - wir haben einen Haufen Netzwerke für
Migranten, aber: Wir nehmen die Asylbewerber zu wenig mit. Wir machen viel, wir
wollen ganz viel, aber wir vergessen, dass wir die Betroffenen mitnehmen. Manchmal wollen die das auch gar nicht, was
wir alles wollen.
Es gab das Programm „Yes you
can“, da hieß es, Akademiker in Arbeit
zu bringen und da sind schon etliche in den Beruf gegangen. Allerdings sind von
den 15 Leuten fünf aus dem Landkreis raus. Das ist ein bisschen schade. Aber
die haben sich natürlich Arbeit gesucht und auch gefunden.
Frau Zacharias: Flüchtlinge, die aus dem afrikanischen Raum kommen oder
überhaupt den Weg über’s Mittelmeer gewagt haben, da kann man davon ausgehen,
dass das Akademiker sind. Wer bringt das Geld auf oder wer hat die Möglichkeit,
einen Schlepper zu bezahlen? Das sind gebildete Leute, das sind Ingenieure, die
sprechen manchmal mehrere Sprachen. Ein Beispiel: Eine Familie lebt schon ein
Jahr in Deutschland, die sind auch über Berlin und Halberstadt nach Stendal
gekommen, die sagen, jetzt sind sie schon ein Jahr hier und sie dürfen nichts
machen. Die Kinder sind im Kindergarten, das ist schon mal schön.
Aber man muss mit den
Menschen hier sprechen und sie vorbereiten auf die, die jetzt kommen, z. B. was
die erlebt haben, wo sie herkommen usw. Stellen sie sich vor, das sind Akademiker,
haben einen guten Beruf und haben ihre Erfüllung, noch ein gutes Hobby, und auf
einmal kommt der Krieg, alles ist weg, sie haben Angst um ihr Leben, und nehmen
ihr Hab und Gut und nehmen dann nicht die Zeugnisse und den ganzen Ballast; und
selbst wenn sie es mitnehmen, werden sie unterwegs noch von irgendwelchen
Milizen gefilzt, dann wird denen das teilweise noch weggenommen, dann werden
sie noch misshandelt, die setzen sich ja nicht in den ICE und fahren dann mal
und zeigen ihren Pass an der Grenze vor und werden durchgelassen. Das ist eine
Flucht, wie damals die Deutschen aus Ostpreußen hierhergekommen sind, mit
Handwagen und ihrem Kind auf dem Arm. Und ich finde, da müssen wir uns auch ein
bisschen reinfühlen und reindenken und wenn die jetzt hier in der
Stadtseewohnung sitzen, das ist schön, die sind dezentral untergebracht. Aber
der ganze Block ist voll älterer Leute, die sind vielleicht genervt von der
kinderreichen Familie und helfen denen nicht unbedingt. Und die dürfen nichts
machen und das fällt denen so schwer, die fühlen sich überhaupt nicht
gewertschätzt, haben ihr Leben lang was gemacht und jetzt ist es nichts wert
und nichts wird anerkannt und es wird ihnen vielleicht noch unterstellt, die
haben mit Absicht nichts vorgezeigt. Das ist ganz schwierig für die Leute.
Und was die Fachkräfte für
die Kita angeht: Alles muss sich auch irgendwie finanzieren, aber können wir
die ausländischen Pädagogen nicht erstmal zusätzlich dazu nehmen? Das wäre eine
Unterstützung, zumindest mit der Sprache. Oder mit Firmen sprechen, ob sie die
Migranten vielleicht als Praktikanten nehmen würden, auch so lernen diese dann
die Sprache schneller.
Herr Rettig: Ich möchte gleich anschließen. Sie melden sich im
Jobcenter oder Arbeitsamt und sagen, sie haben einen Abschluss, aber sie haben
keinen Nachweis. Kann man das nicht auch über ein Praktikum über drei oder
sechs Monate machen, da stellt sich doch heraus, ob jemand über Fähigkeiten und
Fertigkeiten verfügt. Das ist doch sonst ein Teufelskreis. Wer keinen Abschluss
vorweisen kann, hat doch nie die Chance, egal welchen Status er hat.
Frau Voigt: Wir sind nicht für die Abschlüsse zuständig, das ist
das Problem. Selbst wenn sie arbeiten dürfen, versuchen wir alles für die
Integration. Da werden alle Angebote unterbreitet, die möglich sind. Es gibt
aber eben die verschiedenen Gruppen: Diejenigen, die nicht dürfen, diejenigen,
die dürfen, diejenigen, die bei uns Leistungsbezieher werden, diejenigen, die
einen anderen Status haben, das sind alles ausländische Mitbürger mit
unterschiedlichem Status, und für die Gruppe, die wir hier im Jobcenter
betreuen, verhandeln wir so gut es geht mit Arbeitgebern, wir nehmen die an die
Hand, und wir versuchen über ein eigenes Coaching, aber es ist unheimlich schwer, die
Arbeitgeber ranzukriegen. Die rufen auch nicht „Hurra“.
Frau Müller: Zu den Fachkräften: Generell, egal in welchem Aufgabenfeld wir uns nach dem
SGB VIII bewegen, haben wir bundesgesetzlich vorgegebenes Fachkräftegebot. Und dazu gehören natürlich auch Nachweise; dass
das unter den beschriebenen Umständen ein Problem sein kann, keine Frage. Aber
ich halte es auch für schwierig, ganz locker da ranzugehen. Da muss man Wege
finden – ich weiß im Moment auch keinen - um da möglicherweise trotzdem eine
Lösung im Einzelfall zu finden. Eine globale Lösung wird es da nicht geben.
Über das generelle Fachkräftegebot für alle Aufgaben nach dem SGB VIII haben
wir ja die besondere Situation nach dem KiFöG ohnehin noch, so habe ich ganz
klare gesetzliche Vorgaben, wer als Fachkraft anzuerkennen ist oder wer als
Fachkraft gilt und wer nicht. Und um bestimmte Nachweise wird man nicht herum
kommen – so oder so. Spannende Frage, wie man das im Einzelfall lösen kann und
wie man ggf. an solch einen Nachweis herankommt. Bei uns im Landkreis ist mir bisher noch
keine Fallsituation, zumindest für den Kita-Bereich, bekannt.
Frau Güldenpfennig: Um das jetzt abschließen zu können: Wir sind auf
einem guten Weg und ich denke, das ist der Weg, den wir hier auch im Ausschuss
gehen können und wo wir das Papier, so nenne ich es mal, beleben können und
auch mit Inhalten füllen können.
Herr Kloft: Ich hätte noch eine kleine Bitte. Wenn in diesem
ganzen Rahmen irgendwo Gelder zur Verfügung stehen, wäre schön, wenn man
generell auch die Einrichtungen berücksichtigen könnte, die schon lange vor Ort
arbeiten. Wir haben das jetzt immer wieder in den verschiedenen Einrichtungen
gehabt, dass von außen Leute kommen, die irgendwoher Geld haben und jetzt von uns
quasi die Kinder und die Einrichtung haben möchten für lau, um sich dann damit
zu finanzieren, um ihr Projekt zu machen für ein paar Wochen und dann wieder
weg sind. Und das ist für die Leute vor Ort relativ demotivierend, zu sehen, man kommt selbst ganz schlecht an
Gelder ran und dann kommen Leute, die kriegen irgendwoher das Geld, mischen kurz mit und sind dann weg.
Herr Stoll: Herr Kloft spricht mir aus der Seele. Wenn wir
Fördermittel zur Verfügung haben, dann gibt es einen Ordner voll mit Vorgaben.
Und da ist u. a. immer wieder drin, diskriminierungsfrei auszuschreiben, am
besten noch europaweit, und dann den günstigsten Anbieter zu nehmen. Ich habe
genug Träger in meinem Landkreis, ich weiß, mit wem ich über welches Thema
reden kann und wen ich an welcher Stelle ansprechen kann, um das zu machen.
Wenn ich es aber so tue, dann lande ich irgendwo bei der Jahn-Sporthalle in Wolmirstedt
mit dem gleichen Desaster. Die EU plant für Sachsen-Anhalt 285 Millionen
zurückzuhalten, weil man die Vermutung hat, dass in den Vergaben etwas nicht
richtig gelaufen wäre in den letzten sieben Jahren. Ich kann das nur unterstreichen,
was Herr Kloft sagt, wir müssen es hinkriegen, mit Fördermitteln so zu agieren,
dass wir in der Region davon profitieren und nicht noch den siebenten oder
achten Träger bzw. Trägerlandschaft aufbauen neben den schon bestehenden.
Wohlwissend, dass wir diesen einen Ordner, den wir mit den Fördermitteln
überreicht bekommen, immer komplett abarbeiten müssen und daran gemessen
werden, ob jetzt alles eingehalten wird. Aber ich gebe ihnen vollkommen Recht,
das ist ein Problem.
Herr Rettig: Vielleicht mal der Hinweis, sich auch mal an Benjamin
Ollendorf zu wenden.
Herr Zürcher: In der ganzen Bewegung stört mich immer dieser
Begriff „Willkommenskultur“. In der Diskussion wurde wieder klar: Wie
willkommen sind denn die, die wir in Arbeit bringen dürfen? Wie willkommen sind die, die nicht arbeiten
dürfen? Das verkommt für mich zur Phrase. Hinzu kommt noch die Sache, wie
fühlen sich die, die wir im sozialen Brennpunkt haben, sind die denn
willkommen? Wie sind wir mit denen umgegangen? Das sind so grundsätzliche
Fragen, wo ich sage, die politischen Losungen, die irgendeiner loslässt, da
sollten wir vorsichtig mit umgehen. Es nützt nichts, wenn wir auf dem Markt
bunte Fähnchen schwingen und die Leute sind danach trotzdem wieder alle
verschwunden. Ich glaube, jeder, der hier am Tisch ist, die Verwaltung, die
unterschiedlichsten Organisationen und Vereine, versuchen ihren Weg zu gehen,
die Arbeit zu machen und Angebote zu machen, und das einzige, was wir uns
vornehmen sollten: Wir sollten koordinierter herangehen. Ich gebe Herrn Kloft
da auch Recht, man kann nicht nur Räume für irgendwelche Schulungen zur Verfügung
stellen. Ich möchte appelieren, so wenig wie möglich mit Phrasen zu arbeiten,
besonders mit diesem Begriff „Willkommenskultur“, nur unter dem Aspekt der Migranten.
Wir haben gewaltigen Bedarf, mit Respekt, egal wer hier als Bürger in der Stadt
ist oder im Landkreis, miteinander umzugehen, aber das macht mir Sorge. Und
insoweit ist auch nicht jedes Projekt, was uns vor die Füße geworfen wird,
unbedingt das Richtige.
Frau Güldenpfennig: Ich denke, das
war erstmal ein guter Schluss.