Beschluss: einstimmig beschlossen

Frau Güldenpfennig gibt eine kurze Einleitung. Frau Müller erläutert die Drucksache sehr ausführlich. Es entsteht eine rege Diskussion, an der sich Herr Rettig, Frau Voigt, Herr Wulfänger, Frau Borkowski, Frau Kraemer und Herr Schmitt beteiligen. Nachfragen beantwortet Frau Müller sofort.

Herr Rettig meint, das ist ein sehr gutes Dokument; die beiden Punkte auf der ersten Seite,

1. Bestand an Einrichtungen feststellen und 2. Bedarf ermitteln, wurden auch erfüllt. Als dritter Punkt steht die Befriedigung des Bedarfs planen und Vorsorge treffen, dass auch unvorhergesehener Bedarf befriedigt werden kann. Sie haben die Probleme genannt: Knappheit an Plätzen für Kinder im Schulalter, eklatanter Mangel an Plätzen für Kinder mit drohender Behinderung, Mangel bzw. kaum vorhandene integrative und inklusive Hortplätze sowie die zentrale Platzvergabe. Das ist eigentlich die Forderung, die hier lt. SGB VIII im 3. Punkt hervorgehoben wird. Da fehlen mir einfache Lösungsvorsätze. Ansonsten ist es nur eine Bestandserhebung und eine Bedarfsplanung, aber keine Veränderung bei den jetzt festgestellten Mängeln.

Frau Müller: Es steht Planung drüber, nicht Plan. Wir arbeiten jeden Tag mit den Trägern. Die überwiegende Mehrheit der Träger kennt das Thema inklusive Betreuung und die konzeptionelle Bereitstellung des inklusiven Gedankens, aber das geht nur Zug um Zug, ich kann niemanden zwingen. Wir sollten mit den Trägern einen Weg finden, dass jede Einrichtung (so will es der Gesetzgeber) a) bereit und b) in der Lage ist, bei Bedarf auch behinderte Kinder mitzubetreuen. Momentan legt der Bund ja gerade eine neue Förderrichtlinie auf, sprich das Krippenausbauprogramm wird im Prinzip fortgeführt.  Um die Entwicklung der inklusiven Betreuung zu befördern, könnte man z. B. bevorzugt die Träger berücksichtigen, die ihre Einrichtungen inklusiv führen.

Und ich bin der Meinung, dass wir die Novellierung des KiFöG abwarten und keinen Schnellschuss tätigen sollten, sonst müssen wir eventuell doppelt arbeiten, denn das bedeutet Aufwand, bedeutet Personal und es bedeutet auch eine gewisse Organisationsvorbereitung.

Und als nächstes hatten sie die Platzvergabe angesprochen.

Herr Rettig: Genau, an dieser Stelle ist der Landkreis ein "zahnloser Tiger". Der Landkreis hat die Probleme erkannt, sie sind jetzt hier genannt und sie können nur mit den Trägern arbeiten und vielleicht gibt es zukünftig die Möglichkeit, über die Vergabe von Fördermitteln die auszuwählen und vorrangig zu fördern, die sich hier an den Bedarfen orientieren.

Frau Müller: Sie haben es schon ziemlich auf den Punkt gebracht mit dem zahnlosen Tiger. Und das kann den Landkreis in eine Situation geraten lassen, egal ob für behinderte oder Regelkinder: Wenn wir den Rechtsanspruch nicht sichern können, hat der örtliche Träger ein Problem, nämlich wenn die Eltern aus diesem Grunde nicht arbeiten gehen können und zuhause bleiben müssen. Im Zweifel müsste der örtliche Träger selber einspringen; doch das wäre die denkbar schlechteste Lösung und die wollen wir auch nicht. Die Kommunen sind auch kommunikativ, nur umsetzen lässt sich das schlecht von heute auf morgen.

Die Frage von Frau Borkowski ging eigentlich in die gleiche Richtung: Kann man das wirklich nur über's Geld regeln oder kriegt man einen Qualitätsdialog hin? Ich glaube, in Fragen der Inklusion oder auch Qualitätsmanagement sind viele Einrichtungen schlichtweg überfordert. Gerade kleineren Einrichtungen oder Trägern fehlen da schlichtweg die Möglichkeiten der fachlichen Umsetzung.

Frau Müller: Das kann man sicherlich alles machen und das wäre auch zielführend, aber die Realität stellt sich oft bunt dar. Wir haben Träger, die machen das schon, und wir haben Träger, die muss man erstmal dahin kriegen, dass sie sich  konzeptionell dem öffnen. Und es sind ja oft auch Stadt- und Gemeinderäte an dem Prozess beteiligt – das geht alles nicht Knall auf Fall. Aber wir brauchen auch nichts schönreden, wir wissen ja, womit wir uns jeden Tag rumquälen, wieviele Kinder in der Warteschleife "hängen".

Eines will ich noch anfügen: Die Platzvergabe für die behinderten Kinder läuft ausschließlich über uns, das machen wir zentral, in Abstimmung mit dem Sozialamt. Das haben wir irgendwann mal eingeführt und wir sind sehr gut damit gefahren.

Frau Borkowski denkt nach wie vor, man muss überlegen, welche Strategie man fährt, selbst wenn man nicht die Zugriffsrechte hat und es somit als übergeordneter Träger schwierig ist.

Frau Müller: Zu der Erkenntnis, dass wir ein "zahnloser Tiger" sind, sind wir auch schon gekommen. Und wenn ich mir vom Land etwas wünschen könnte, wäre es genau das, dass man im Rahmen der Novellierung über diesen Punkt mal nachdenkt. Wir als Landkreis müssen zwar die Planung als Pflichtaufgabe machen, aber letztlich ist sie im Zweifel schwer durchsetzbar, wenn die Träger nicht entsprechend handeln. Wir haben keine Druckmittel. Es macht keinen Sinn, wenn ich zwar planen darf, aber ansonsten nicht zu sagen habe. Und die Stellschrauben über's Geld sind ja auch begrenzt.

Frau Voigt kann ganz schlecht mit dieser Situation leben, wenn man den Bedarf nicht zentral feststellen kann, wenn man nicht weiß, welches Kind einmal oder mehrfach registriert ist. Denn das Zufälligkeitsprinzip "wer hat sich wo zuerst und wie oft angemeldet und wer kriegt jetzt den Platz" darf es so nicht geben. Der Landkreis muss der "Steuermann" sein – so ist mein Verständnis und auch meine Rechtsauffassung.

Frau Müller: Da sind wir uns einig, Frau Voigt, ich hätte das auch lieber heute als morgen, aber das bedarf auch gewisser organisatorischer Vorbereitung bzw. gewisser Strukturen und Ressourcen. Die muss der Kreistag bereitstellen.

Frau Voigt: Wir müssen das mehr fordern, das tue ich hiermit; mich beschäftigt das schon lange. Ich sehe das täglich in meiner Arbeit, dass Muttis kommen, die keine Möglichkeit der Kinderbetreuung haben.

Frau Kraemer: Es ist ein Prozess, wir haben jetzt die Planung gemacht und uns Ziele gesteckt. Auch als Ausschuss müssten wir in gewissen Abständen draufgucken und prüfen, sind wir denn noch auf diesem Weg, ist unser Ziel immer noch unser Ziel und wo sind wir jetzt.

Frau Voigt: Aber das tun wir ja nicht, wir wissen den Bedarf gar nicht.

Frau Kraemer: Wir haben ja erkannt, dass wir Bedarf haben und dass inklusive Plätze fehlen. Was uns fehlt, ist das Instrument der zentralen Vergabe, und da müsste der Ausschuss jetzt handeln.

Frau Güldenpfennig: Also wir müssten als Jugendhilfeausschuss einen Antrag an den Kreistag erarbeiten, dass diese zentrale Vergabe an den Landkreis geht und Ressourcen und Gelder bereitgestellt werden, um es letztendlich in diese Richtung zu bringen. Ich weiß es von verschiedenen Seiten, dass es auch noch Widerstände geben wird, aber wir als Jugendhilfeausschuss haben dieses Mittel.

Frau Kraemer: Wenn wir dieses Ziel erreichen wollen, brauchen wir auch ein Instrument dafür, sonst wird es nichts.

Frau Borkowski: Da würde ich aber noch mal einen Schritt zurückgehen und würde schauen, welche Instrumente für die zentrale Platzvergabe gibt es eigentlich; es gibt ja unterschiedliche Möglichkeiten. Und wir als JHA müssen entscheiden, was ist passend und was können wir bewältigen.

Frau Kraemer: Aber zumindest muss der Landkreis es in die Hand nehmen, denn gegen den Landkreis richten sich ja auch die Klagen, wenn der Rechtsanspruch nicht gewährleistet werden kann. Das ist ja das Dilemma: Wir vergeben gar nicht, aber der Rechtsanspruch richtet sich gegen den Landkreis. Da beißt sich die Maus in den eigenen Schwanz.

Frau Güldenpfennig: Das sollte auf der nächsten Ausschusssitzung auf die Tagesordnung.

Herr Rettig: Mir war gar nicht bekannt, dass es verschiedene Modelle der Platzvergabe gibt. Damit müssen wir uns mal befassen und dann gemeinsam mit der Verwaltung entscheiden, was wir als zweckmäßig empfinden.

Frau Güldenpfennig: Oder zuerst den Antrag stellen und hinterher die Information, welches Modell mit der Verwaltung letztendlich umsetzbar ist.

Herr Wulfänger plädiert dafür, dass man das mit den Trägern gemeinsam und nicht gegen die Träger macht. Ansonsten könnten sich evtl. einige Träger zurücklehnen und sagen "na dann macht doch mal". Das ist nicht in unserem Sinne. Ich bin auch ein lebhafter Verfechter für diese zentrale Platzvergabe, aber ich habe Sorge, dass wir etwas installieren, was zum Schluss nicht funktioniert und hinterher bekommen wir ein neues KiFöG, wo vollkommen neue Regelungen drinstehen, die überhaupt nicht zu unserer zentralen Platzvergabe passen – wir wissen ja nicht, was das Land da reinschreibt.

Noch ein Wort zu Herrn Rettig. Es ist richtig, hier sind viele Maßnahmen formuliert, und ich finde es auch gut, dass wir das so konkret reingeschrieben haben, wo die Mängel sind. Und wir haben den Gemeinden mit auf den Weg gegeben, wo Handlungsbedarf besteht. Aber es ist auch ein Blick nach vorne, einerseits den Bestand aufnehmen und daraus Rückschlüsse ziehen und zu sagen, wir wollen, dass ihr dies und jenes in Angriff nehmt. Und da sind wir dann auch wieder beim Wort Planung.

Frau Müller: So ganz steuerungslos sind wir doch nicht. Sie wissen, dass der Landkreis seit 2015 mit den Trägern Leistungsvereinbarungen abschließt. Und wir werden wahrscheinlich künftig noch mehr dieses Instrument nutzen. Denn wir können den Trägern sagen, dass wir soundso viele Plätze dieser oder jener inhaltlichen Ausrichtung haben wollen oder dass der Anteil an Plätzen, auf denen behinderte Kinder betreut werden, erhöht wird. Denn ich glaube, es ist noch längst nicht allen klar, was es heißt, mit dem Landkreis eine Vereinbarung über eine Leistung abzuschließen.

Herr Rettig: Aber es ist so, die Kommunen lehnen sich zurück und sagen, die Verantwortung liegt beim Landkreis.

Frau Müller: Erstens dass, und zumindest im Moment machen es nicht nur die Kommunen, es machen alle. Aber es gibt auch Kommunen, die uns in  Gesprächen schon angekündigt haben, dass sie unsere Zielstellung generell nicht schlecht finden.

Frau Güldenpfennig: Wir müssen jetzt hier für uns den Entschluss fassen: Stellen wir den Antrag oder warten wir bis zur Novellierung.

Frau Kraemer: Wir könnten ja vorbereitet sein. Wenn dann das KiFöG kommt, können wir beschließen.

Frau Güldenpfennig: Und wir haben den Antrag dann schon in der Vorbereitung und wir wollen den stellen.

Frau Müller: Ist das jetzt ein Antrag?

Frau Güldenpfennig: Ja.

Frau Voigt: Theoretisch brauchen wir erstmal gar nichts zu machen; wir müssen erstmal nur wissen, wie weicht die Anzahl der Plätze von den angemeldeten Kindern ab. Die Anzahl der gemeldeten Kinder, die einen Platz haben wollen – die zu erfassen – das hätten wir doch schon drei Jahre lang tun können. Wenn das alles eins zu eins aufgeht, braucht man überhaupt nichts machen. Aber wir haben die vorhandene Diskrepanz, weil wir überhaupt nichts wissen. Der Landkreis hat doch das Recht, die Zahlen der angemeldeten Kinder zu bekommen.

Frau Müller: Das nützt nichts. Sie bekommen lediglich eine schlechte Datenbasis, das muss ich ihnen so sagen.

Frau Voigt: Woran liegt das denn?

Frau Müller: Das liegt daran, dass niemand nach gleichen Kriterien seine Anmeldelisten führt. Unter dem Begriff Warteliste versteht auch jeder etwas anderes. Wir lassen uns im Moment zweimal jährlich aktuelle Belegungszahlen geben, die Kapazitäten haben wir durch die Betriebserlaubnisse, da kriegt man ein Bild; aber was an sogenannten Wartelisten im Landkreis oder von Einrichtung zu Einrichtung umhertourt, das kann man nicht gebrauchen, um einen belastbaren Überblick zu erhalten.

Frau Voigt: Man kann ein Kind doch nur einmal führen, es hat Vor- und Zunamen und ein Geburtsdatum.

Frau Müller: Man kann ein Kind sogar viermal führen.

Frau Voigt: Aber ich führe es zusammen, bei mir ist dann ein Kind nur ein Kind.

Frau Müller: Aber man hat freie Träger, auch kommunale Träger, und die Eltern haben ein Wunsch- und Wahlrecht. Wenn ein Kind im Planungsraum X angemeldet ist, sogar zweimal angemeldet ist, und im Planungsraum Y noch dreimal angemeldet ist, das hat hier niemand unter Kontrolle.

Frau Voigt: Man führt es einfach nur zusammen. Ein Kind ist angemeldet und das Kind hat jetzt den Bedarf.

Frau Müller: Sie wissen doch nicht, wo der Bedarf ist. Ich müsste also tagaktuell 101 Einrichtungen abfragen. Alles andere kann man vergessen. Z. B. sind Kinder schon versorgt und trotzdem waren sie noch in drei Einrichtungen angemeldet, weil niemand dieses Kind aus der Warteliste rausgenommen hat.

Herr Rettig: Es ginge nur, indem die Anmeldung grundsätzlich nur ein einziges Mal, und zwar beim Landkreis, erfolgen kann. Dann schließt man alle anderen Fehlerquellen aus. Aber das erfordert dann personelle und finanzielle Ressourcen. Da müsste dann wirklich jemand im Jugendamt ausschließlich damit beschäftigt sein.

Herr Schmitt: Sicherlich ist es nicht möglich, diese ganzen Probleme, die beschrieben worden sind, in kürzester Zeit umzusetzen. Was ich mir vorstellen könnte wäre aber, dass der Landkreis ein einheitliches Anmeldesystem schafft.

Frau Müller: Das machen wir heute schon. Dort, wo wir die Vergabe machen, füllen die Leute die Anmeldung bei uns aus, wir fragen auf dem Bogen nach erster, zweiter und dritter Wunscheinrichtung. Wir gucken dann, und wenn alle drei Einrichtungen nicht gehen, schauen wir, was ist noch zumutbar, und dann weisen wir einen Platz zu. Dann steht es den Eltern frei, den Platz in Anspruch zu nehmen oder nicht, aber damit ist der Landkreis aus seiner Verpflichtung raus; wir haben den Rechtsanspruch gesichert. Und dann steht den Eltern aber nur ein gewisses Zeitfenster zur Verfügung, in dem sie sich entscheiden müssen und einen Betreuungsvertrag abschließen können. Ansonsten wird der Platz wieder für die weitere Vergabe frei.

Frau Güldenpfennig: Wir müssten uns jetzt hier entscheiden, dass wir einen Antrag stellen für diese zentrale Vergabe, dass wir das im Jugendhilfeausschuss erarbeiten. Es war gut, noch einmal darüber zu sprechen und die Novellierung des KiFöG abzuwarten.

Frau Güldenpfennig lässt über die DS-Nr. 352/2017 abstimmen; die Vorlage wird einstimmig beschlossen.