Frau Klaus-Halfinger: Das gegenwärtige System mit dem bestehenden Rahmenvertrag im Land Sachsen-Anhalt ist sehr starr. Viele Dinge im Zusammenleben mit den Bewohnern sind nicht möglich. Die Einrichtung hat z. B. jetzt ein Ehepaar, die in unterschiedlichen Leistungstypen untergebracht sind. Das Paar möchte gern zusammenleben. Dieses gestaltet sich jedoch schwierig, auf Grund der unterschiedlichen Leistungstypen. Mit unserer Konzeption verfolgen wir das Ziel, die Finanzierung individueller zu gestalten. Am 19.09.2011 werden wir im Ministerium für Soziales unser Projekt vorstellen und hoffen auf Unterstützung, den behinderten Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.

 

Frau Horack: Zur Zeit gibt es viele Probleme im Zusammenleben der behinderten Bewohner, weil es keine Wahlfreiheit gibt. Durch den Rahmenvertrag ist die Einrichtung Sachzwängen innerhalb der Leistungstypen unterworfen. So kann nicht frei gewählt werden, mit welchem Bewohnern man gern zusammenleben möchte. Es ist immer davon abhängig, welches Zimmer in der jeweiligen Wohngruppe entsprechend des Leistungstypes frei ist. Dieses führt häufig zu Spannungen und Konflikten unter den Bewohnern, aber auch zu persönlichen Krisen. In anderen Bundesländern hat man die Erfahrung gemacht, dass mehr Selbstbestimmung zu weniger Krisen führte. Das heißt nicht, dass die Ambulantisierung grundsätzlich Krisen ausschließt. Es wird auch zu Konflikten mit dem Umfeld kommen. Ein flexibles Leistungs-

system würde dazu führen, dass besser auf einen sich wandelnden Bedarf reagiert werden könnte. Die Bedarfe der Bewohner sind regelmäßig zu überprüfen und individuell besser abzudecken. Zur Zeit ist die Bedarfserhebung eher mangelhaft. Auch in Zukunft wird es für einige Bewohner notwendig sein, eine stationäre Versorgung vorzuhalten. Jedoch könnten viele Bewohner in ambulantisierten Wohnformen leben.

 

Frau Klaus-Halfinger: Das Land Sachsen-Anhalt hat bundesweit in der Eingliederungshilfe die meisten stationären Plätze. Die Nachfrage nach stationären Plätzen ist unverändert groß, da keine Alternativen vorhanden sind. Aus Sicht des Landes sollen keine neuen Plätze entstehen.

Deshalb ist zu prüfen, ob diese Plätze notwendig sind. Eine Orientierung könnten andere Bundesländer sein. Eine Umstellung auf ambulante Plätze bedeutet nicht, dass es gleich preiswerter wird. Langfristig ist das jedoch zu erwarten. Unser Ziel ist die Einführung von Fachleistungsstunden für jeden Bewohner. So kann auf dessen Bedarf sehr individuell reagiert werden.

 

Herr Dr. Lischka: Inklusion in diesem Sinne bedeutet, dass der Mensch in seiner Behinderung rund um die Uhr die Hilfen die er zu einer bestimmten Zeit benötigt, bekommt. Seit 40 Jahren bin ich in diesem Bereich tätig und während dieser Zeit sind die Budgets immer kleiner geworden. Man hat nur die Möglichkeit, einen Pool zu bilden, aus dem die Betreuten bei kleiner werdenden Budgets finanziert werden, einige Betreute benötigen weniger Leistungen und andere Betreute mehr. Die Erwartungen der Kostenträger, dass die behinderten Menschen so gefördert werden, dass die berufstätig sind, wird nicht funktionieren. Eine ambulante Betreuung würde bedeuten, diesen Mischpool aufzugeben. Das ist jedoch nicht möglich, weil es zu Lasten der Betroffenen gehen würde, denn es stehen weniger finanzielle Mittel zur Verfügung. Eine rund um die Uhr Betreuung ist aus gegenwärtiger Sicht nicht finanzierbar. Wie wollen sie diese dann realisieren.

 

Herr Kittner: Sie haben hier geistig- und mehrfachbehinderte Bewohner. Die Ambulantisierung ist aber weitestgehend auch für Personen mit einer psychiatrischen Diagnostik vorgesehen. Wieviel Prozent ihrer Bewohner haben neben der geistigen Behinderung auch eine psychiatrische Diagnostik?

 

Frau Horack: Zwei drittel der Bewohner weisen neben ihrer geistigen Behinderung Verhaltensauffälligkeiten auf.

 

Frau Dr. Paschke: Das Land Thüringen hat weniger Ausgaben für die Leistungen der Eingliederungshilfe.

 

Frau Klaus Halfinger: Die Bundesrepublik Deutschland hat die UN-Konvention zu Inklusionen unterschrieben. Deshalb ist auch Pflicht, die Selbstbestimmung der Bewohner durchzusetzen.

 

Frau Horack: Mit dem Rahmenvertrag und den Leistungstypen hat das Land Sachsen-Anhalt die Mischfinanzierung aufgegeben. In anderen Bundesländern gibt es bereits Langzeitmodelle hin-

sichtlich der ambulanten Betreuung.

 

Frau Klaus-Halfinger: Es ist uns durchaus bewusst, dass das nicht bei allen Bewohnern funktionieren wird.

 

Frau Dr. Paschke: Im Oktober 2011 wird sich der Sozialausschuss des Landtages mit dieser Problematik beschäftigen. Das Land ist in der Pflicht nach neuen Wegen zu suchen. Neue Ideen zu entwickeln, andere Finanzierungsmodelle zu prüfen um den Grundsatz gerecht zu werden ambulant vor stationär. Die Einrichtung muss offensiv mit dem Land in Kontakt treten, weil sich sonst in der Sozialagentur des Landes nichts ändert. Die Konzeption wird auch durch den Landrat des Landkreises und die Fachhochschule Magdeburg Stendal unterstützt. Die Gespräche müssen diesbezüglich in Gang kommen. Der Sozialausschuss des Landkreises sollte Modelle die in diese Richtung führen unterstützen und befürworten.

 

Dr. Richter Mendau: Ich habe mich zur stationären Pflege kundig gemacht. Experten schreiben, dass die Heimpflege voraussichtlich von 33 % auf 48 % ansteigen wird. Die Familienpflege nimmt zukünftig ab. Ursache dafür sind die geringen personelle Ressourcen, keine finanziellen Mittel aber auch keine Strategie hinsichtlich der Betreuung.

 

Frau Horack: Die von ihnen genannten Zahlen stehen für den Bereich der Altenpflege nach dem SGB XI. Mit unserer Einrichtung befinden wir uns aber im Bereich der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX. Hier werden andere Strategien verfolgt.

 

Frau Dr. Paschke: Ich möchte an die Mitglieder des Sozialausschusses nochmals die Frage richten, ob die Konzeption für das Modellprojekt „Neue Wege gehen“ die Unterstützung der Mitglieder findet?

 

Herr Dr. Lischka: Ich bin grundsätzlich nicht dagegen, ich habe jedoch die Befürchtung, dass hier Dinge begonnen werden und nicht zu Ende gebracht werden. Der Leistungsdruck wächst.

Das hat seine Grenzen, wenn man dieses Konzept umsetzen möchte, dann mit der Konsequenz, dass das Geld dafür bereit gestellt wird. Nur so kann der Bewohner die Hilfe bekommen, die er braucht.

 

Frau Schmidt: Ich unterstütze den Ansatz der Einrichtungen. Der Träger sollte diese Chance bekommen. In der Jugendhilfe haben wir ähnliche Erfahrungen gemacht, als stationäre Heim-

plätze zu Gunsten von Tagesbetreuungen reduziert wurden.

 

Frau Krämer: Das Modellprojekt hat meine Unterstützung. Ich sehe es als gesellschaftliches Problem. Aber die behinderten Menschen gehören auch zu unserer Gesellschaft und man sollte nicht immer sagen, es darf nicht mehr kosten.

 

Herr Rettig: Die Betreuung von behinderten Menschen ist nicht zum Nulltarif zu haben. Nicht jeder fortschrittliche Gedanke sollte nicht gleich mit den Finanzen zu Nichte gemacht werden.

Die Ausführungen haben mich überzeugt und ich unterstütze das Modellprojekt.

 

Herr Kühnel: Ich muss eingestehen, dass ich mit diesem Sachverhalt nicht so vertraut bin. Aber ich vertraue auf den Sachverstand von Herrn Dr. Lischka und sehe es deshalb auch eher kritisch.

 

 

Frau Dr. Paschke: Ich stelle fest, dass die Mitglieder des Sozialausschusses mehrheitlich das Modelprojekt der Einrichtung unterstützen.