Sitzung: 11.12.2012 Jugendhilfeausschuss
Vorlage: 406/2012
Frau Müller erläutert die Drucksache. Wir haben das Bundeskinderschutzgesetz. Das Bundeskinderschutzgesetz ist letztlich durch den Bundesrat nur unter der Maßgabe gegangen, dass der Bund noch Geld bereitstellt. Das ist dann passiert. Das Geld, was der Bund zur Verfügung stellt, finden wir in der sog. Bundesinitiative „Frühe Hilfen und Familienhebammen“ wieder. Es hat monatelange Verhandlungen zwischen den Ländern und dem Bund gegeben zur Verteilung dieser Gesamtbundesmittel. Das Endergebnis hieß: Es gibt eine Mittelverteilung auf die Länder auf der Basis einer Verwaltungsvereinbarung, die hängt hinten dran. Für 2013 werden 45 Mio. Euro verteilt nach dem Königssteiner Schlüssel. Daneben werden die Kinder im Alter von 0 – 3 im SGB II-Bezug im Verhältnis der Gesamtzahl der Kinder 0 – 3 berücksichtigt. Das war insbesondere eine Forderung der neuen Länder, nur die Anwendung des Königssteiner Schlüssels hätte den neuen Ländern noch weniger Geld beschert. Nach diesem Schlüssel der Mittelverteilung vom Bund auf die Länder werden die Mittel innerhalb von Sachsen-Anhalt vom Land auf die Landkreise verteilt. Dazu kommt, dass das Land auch einen gewissen Anteil schon abgezogen hat und dann den Schlüssel angewandt und auf die Landkreise verteilt hat und danach würden wir für 2013 dann 67.550 Euro bekommen und in den Folgejahren voraussichtlich 78.722 Euro. Dann hat der Bund gesagt, welche Bereiche er mit diesen Mitteln finanziert haben will. Das sind erstens die Netzwerke mit Zuständigkeiten für die frühen Hilfen, zweitens den Einsatz der Familienhebammen, drittens Ehrenamtsstrukturen und viertens zusätzliche Maßnahmen zur Förderung früher Hilfen. Hier muss man immer wissen, es geht nur um die frühen Hilfen, also um den vorgeburtlichen Alltagsbereich der Eltern bis zum Alter von 3 Jahren der Kinder. Nur über diese Altersspanne reden wir beim Einsatz dieser Mittel. Soviel kann man ja nun mit 67.550 Euro nicht machen, jedenfalls nicht, was uns der Bund alles abverlangt und was als Pflichtaufgabe im Bundeskinderschutzgesetz steht bzw. im Gesetz zur Kommunikation und Kooperation im Kinderschutz.
Wir haben überlegt und die Antragsstellung so gestaltet, dass wir die Netzwerkkoordination personell vernünftig absichern können. Und dass wir die Familienhebammen, soweit das Geld aus Bundesmitteln reicht, bezahlen können. Wohl wissend, dass wir die Aufgaben, die als Pflichtaufgaben im SGB VIII stehen, mit diesen Mitteln nicht ohne eigene zusätzliche Haushaltsmittel erfüllen können.
Wir würden jetzt nach der Antragstellung die Netzwerkkoordination mit ihren gesamten Aufgabenstellungen, die dann dieser Stelle obliegen, aus Bundes- und aus Landesmitteln finanzieren, und würden dann die verbleibenden 27.000 Euro komplett in die Familienhebammenfinanzierung legen und müssten die dann noch durch eigene Mittel ergänzen, um den Stand zu erreichen, den das Land bisher hatte.
Familienhebammen gibt es seit einigen Jahren als Projekt des Landes in Sachsen-Anhalt, bisher durch das Land voll finanziert. Wir hatten damit gar nichts zu tun, nur, dass wir fallbezogen mit der einzelnen Familienhebamme zusammengearbeitet haben. Nun hat das Land gesagt, wir stoppen das Landesprojekt, überführen die Zuständigkeit der Familienhebammen auf die örtliche Ebene, d. h. wir werden ab 01.01.2013 für die Familienhebammen zuständig sein, aber dann komplett für alles. Das setzt voraus, dass wir mit den Familienhebammen entsprechende Vereinbarungen abschließen müssen über die Leistungen, die sie als Familienhebammen erbringen und dann in der Folge auch, wie diese Leistungen honoriert und finanziert werden. Diese Überführung der Familienhebammen auf die örtliche Ebene hat nicht überall Beifallsstürme herbeigeführt, schon gar nicht beim Landeshebammenverband. Man hat Ängste und Vorbehalte, dass bestimmte Dinge auf der örtlichen Ebene nicht funktionieren würden, weil man auch z. T. nicht die besten Erfahrungen mit dem Land gemacht hat. Wir sind derzeit noch weit davon entfernt, uns über einen Geldbetrag zu einigen. Der Bund sagt, man muss der Familienhebamme mindestens 36 Euro zahlen, diese Summe hat wohl auch das Land bisher vergütet, was aber nicht gereicht hat. Momentan gibt es eine Verhandlungsbasis mit grundsätzlicher Offenheit. Die Landkreise wollen ordentlich und fair mit den Familienhebammen umgehen und die Leistungen, die sie erbringen, sollen sie auch ordentlich finanziert bekommen.
Ich gehe davon aus, dass wir, wenn wir die Verträge abschließen, bei einem Betrag von 36 Euro ++ liegen. Im Moment sind wir aber noch nicht soweit.
Im Moment sind drei Hebammen als Familienhebammen im Landkreis Stendal tätig. Alle drei Hebammen sind freiberuflich und rechnen nach Hebammengebührenverordnung ihre Leistungen ab. Leistungen als Familienhebamme sind davon nicht erfasst. Das ist dann unsere Aufgabe. Es wird sich alles entwickeln müssen, wie wir die Familienhebammen begleiten. Mir ist es wichtig, dass eine gewisse Vertrauensbasis entsteht.
Herr Graubner begrüßt die Möglichkeit der frühen Hilfe. Aber diese Hilfe muss von den Schwangeren auch angenommen werden. Schön wäre, wenn der Landkreis noch einen Flyer erstellen könnte, dass man somit auch die Praxen und Kliniken informieren könnte, denn dort laufen die werdenden Muttis auf.
Herr Dr. Kühn fasst es so auf, dass wir die drei Familienhebammen im JHA begrüßen wollen.
Frau Müller schlägt vor, zum Ende des 2. Quartals 2013 die Familienhebammen einzuladen.
Herr Dr. Kühn: Wer fordert denn jetzt die Familienhebammen an? Ist es das Jugendamt, ist es die Koordinatorin, ist es der Arzt, ist es die Hebamme?
Frau Müller: Es kann ganz verschiedene Zugangsmöglichkeiten geben; es könnte das Jugendamt sein. Es geht auch durch Mund-zu-Mund-Propaganda, die Hebammen finden auch selbst die Familien, weil sie die Erfahrung haben, oder sie bekommt Informationen. Der Bund hat gesagt, die Familienhebammen sind die Berufsgruppe, die in diesem präventiven Bereich arbeitet. Wenn die Luft erst brennt, dann ist das Jugendamt gefragt, weil man dann ggf. eingreifen muss. Im präventiven Bereich hat man evtl. noch Chancen, dass die Familienhebamme noch etwas gerade rücken kann, bevor sich die Situation mit dem Kleinkind massiv verschlimmert. Die Vertrauensbasis zur Berufsgruppe der Familienhebamme ist eine andere, als wenn das Jugendamt als Institution kommt. Die Familienhebammen sagen uns nichts, denn da gilt der Datenschutz; sie müssen uns nur dann informieren, wenn Kindeswohlgefährdungssituationen vorhanden sind.
Herr Dr. Kühn: Stehen die Familienhebammen im Telefonbuch oder wie erreicht man diese?
Frau Müller: Die Hebammen stehen im Telefonbuch und mit den Familienhebammen werden wir besprechen, inwieweit wir öffentlichkeitswirksam werden, z. B. Flyer, Internet usw.
Frau Schmidt: Zum Verständnis: Beratungsstellen, z. B. ProFamilia, Erziehungsberatungsstellen – wir kennen die Familienhebammen und vermitteln den Kontakt an Familien, wo wir glauben, das würde denen gut tun. In der Verantwortung ist die Familie allein, aber die Kontakte werden vermittelt. Jeder, der sich mit Sozialarbeit beschäftigt, kennt die Familienhebammen.
Herr Graubner: Den Weg zur Beratungsstelle zu finden, ist schon mal ein Schritt. Der allererste Schritt liegt in den Praxen, Es fällt sehr viel an, und gerade deshalb geben wir ja die Listen aus. Der Weg „ProFamilia“ ist ein anderer.
Herr Strube: Bei mir kommt Unverständnis auf. Bis jetzt habe ich gedacht, Familienhebammen gehen in jede Familie mit Kleinstkind. Da frage ich, warum geht sie in diese Familien und in andere nicht?
Frau Müller: Weil die Familienhebammen das Mittel der Wahl sind, um Familien, die Probleme haben und wo die Rahmenbedingungen nicht stimmen, zu unterstützen. Wo die Gefahr besteht, dass das Kind nicht ausreichend versorgt wird oder die Mutter sehr jung ist. Diese Unterstützung benötigt nicht jede Mutter.
Herr Dr. Kühn: Kindesmisshandlungen passieren in jeder sozialen Schicht, aber hier sind es jetzt ganz bestimmte Verhältnisse, wo eine Familienhebamme hinkommen darf. Man soll doch verhindern, dass Kindesmissbrauch geschieht.
Frau Müller: Nicht wir legen die Kriterien fest, nachlesbar auf der Internetseite des „Nationalen Zentrums frühe Hilfen“. Man will an die Eltern ran, wo Gefahr besteht, dass die Kleinst- und Kleinkinder entweder sofort oder perspektivisch nicht ausreichend versorgt und betreut werden. Dazu dienen auch die sogenannten frühen Hilfen.
Herr Wulfänger: Im Regelfall ist in jeder Familie eine Hebamme. Diese sieht dann in der Familie: Die Familie benötigt mehr Hilfe, als das, was von der Krankenkasse bezahlt wird. In dem Moment gibt die Hebamme dann z. B. der Familienhebamme Bescheid und die wird dann vom Jugendamt bezahlt.
Frau Müller: Der Einsatz der Familienhebamme geht grundsätzlich nur bis zum 1. Lebensjahr des Kindes. Diese Hilfe ist auf einen sehr frühen Lebensabschnitt des Kindes beschränkt.
Frau Hartmann: Wenn die Familienhebamme feststellt, dass der Bedarf über das 1. Jahr hinaus da ist, darf sie dem Jugendamt Meldung machen?
Frau Müller: Generell erstmal nicht. Wenn noch Hilfe notwendig ist, muss sie mit den Eltern sprechen und diese animieren, sich Hilfe zu holen. Es ist dann Sache der Eltern, ob sie es machen oder nicht. Solange das Kindeswohl nicht wirklich gefährdet ist, hat die Familienhebamme keine Befugnis, uns Namen zu nennen. Mit Einwilligung er Eltern darf sie uns benachrichtigen, ohne Einwilligung erst, wenn eine bestimmte Gefährdungsschwelle überschritten ist. Es bleibt eine Gratwanderung und letztlich trägt die Familienhebamme die Verantwortung. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind eigentlich klar und sicher für jeden. Aber es ist immer ein Lernprozess für alle Beteiligten.
Herr Dr. Kühn: Und bei der Abrechnung der Stunden schreibt sie dann die Namen der Familien auf?
Frau Müller: Die Namen werden anonymisiert. Solange es kein Fall für uns ist, gibt es keine Namen.
Herr Graubner: Aber der Landkreis macht keine Schwangerenberatung?
Frau Müller: Nein.
Herr Dr. Kühn lässt über die DS-Nr. 406/2012 abstimmen. Die Vorlage wird einstimmig beschlossen.