Betreff
Grundsatzbeschluss zur Zahlung einer elterngeldähnlichen Zusatzleistung an Pflegeeltern in der Vollzeitpflege nach dem SGB VIII
Vorlage
375/2021
Aktenzeichen
375/2021
Art
Beschlussvorlage

Beschlussvorschlag:

Der Kreistag beschließt:

1.    Grundsatzbeschluss

Die Einführung einer elterngeldähnlichen Zusatzleistung zum Pflegegeld in der Vollzeitpflege gemäß § 33 Sozialgesetzbuch (SGB) VIII soll auf freiwilliger Grundlage durch den Landkreis Stendal schnellstmöglich unter dem Vorbehalt der haushaltsseitigen Realisierbarkeit erfolgen.

2.    Sachliche Voraussetzungen und Rahmen für den Einsatz der Zusatzleistung

2.1. Die elterngeldähnliche Zusatzleistung des Landkreises erhält eine Pflegeperson dann, wenn die Pflegeperson ihre Berufstätigkeit zur Betreuung eines Kindes zeitweise ganz oder teilweise aussetzt. Die Erforderlichkeit der zeitweisen Aufgabe der Berufstätigkeit muss vor der Aufgabe auf Grund einer gesonderten Feststellung des zuständigen Fachbereichs des Jugendamtes als erforderlich eingeschätzt und dokumentiert sein. Die Zustimmung der Leitung (Sachgebiets-/Amtsleitung) ist darüber hinaus zwingend.

2.2. Die elterngeldähnliche Zusatzleistung wird i.d.R. bis zu für 12 Monate gezahlt und orientiert sich in der Höhe an den Regelungen des Elterngeldes und wird neben dem Grundbetrag für die Erziehungsleistung als gesonderter zusätzlicher Betrag festgesetzt.

2.3. Der Zusatzbetrag wird in der Höhe auf die nach Elterngeldrecht maximale mögliche Höhe begrenzt.

2.4. Ein evtl. festgestellter sonder- oder heilpädagogischer Zusatzbedarf des Kindes   wird daneben in vollem Umfang gewährt.

2.5. Die elterngeldähnliche Zusatzleistung ist auf Kleinkinder bis zum Alter 14 Monaten beschränkt.

2.6. Es können im Ausnahmefall auch Pflegekinder bis zu einem Alter von bis zu 6 Jahren einbezogen oder der Leistungszeitraum verlängert werden, wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalls sinnvoll erscheint, der zuständige Fachbereich eine begründete Feststellung zur Erforderlichkeit getroffen und die Leitung (Sachgebiets-/und Amtsleitung) zugestimmt hat.


Sachverhalt:

 

        I.            Ausgangslage

Der Gesetzgeber hat aktuell eine Anspruchsberechtigung von Pflegeeltern im Elterngeldrecht grundsätzlich ausgeschlossen. Pflegeeltern können zwar Elternzeit nach dem Bundeselternzeitgesetz in Anspruch nehmen, erhalten jedoch kein Elterngeld nach dem Bundeselterngeldgesetz, wenn sie ein neugeborenes Kind/Kleinstkind in ihren Haushalt in Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII aufnehmen und ggfls.in der Folge ihre Berufstätigkeit zeitweise ganz oder teilweise aufgeben.

Damit steht vor dem Hintergrund des bestehenden permanenten Bedarfs an Pflegeeltern auch das Problem, das auch aus diesem Grund nicht genügend Pflegeeltern zur Verfügung stehen oder gewonnen werden können. Stehen keine Pflegeeltern für Kleinstkinder zur Verfügung, müssen diese Kinder, sofern sie nicht mehr bei ihren Eltern verbleiben können, i.d.R. in einer stationären Einrichtung der Jugendhilfe untergebracht werden. Je jünger das Kind, um so problematischer ist eine solche Unterbringung für die gesunde Entwicklung, da u.a. der erforderliche stabile Bindungsaufbau nicht möglich ist bzw. erheblich gestört wird.

Teilweise lösbar wäre das Problem durch eine freiwillige Leistung des Landkreises, die elterngeldähnlichen Charakter trägt („elterngeldähnliche Zusatzleistung“) und ergänzend zum Pflegegeld befristet gezahlt wird.

Mit der Zahlung einer elterngeldähnlichen Zusatzleistung an Pflegeeltern würde eher  ermöglicht werden, dass sich geeignete und dem Grunde nach bereite Personen an der Aufgabe der Vollzeitpflege eines Kindes nicht durch finanzielle Einbußen gehindert sehen.

      II.            Zulässigkeit

Die rechtliche Beurteilung der Zulässigkeit des Vorhabens basiert im Wesentlichen auf einem Rechtsgutachten des Deutschen Institutes für Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) vom 02.09.2016 (JAmt 2016, 545)

Gemäß § 39 Abs.1 SGB VIII ist bei einer Unterbringung eines Kindes in einer Pflegestelle auch der notwendige Unterhalt des Kindes außerhalb des Elternhauses sicherzustellen. Der Unterhalt umfasst die Kosten für den Sachaufwand („Grundbetrag“) als auch die Pflege und Erziehung des Kindes („Erziehungsbetrag“). Beides zusammen wird auch als Pflegegeld bezeichnet. Der Rahmen für die Bemessung der Höhe des Pflegegeldes ist gesetzlich im § 39 Abs. 4 - 6 SGB VIII bestimmt.

Nach diesen Regelungen wird bei der Bemessung des Grundbetrages per Gesetz nicht auf die Absicherung des Existenzminimums abgestellt, sondern auf die konkreten Lebensverhältnisse der Pflegeperson (tatsächliche Kosten). Damit soll vermieden werden, dass für die Pflege und Erziehung eines Kindes nicht eigene Finanzmittel der Pflegeperson eingesetzt werden müssen.

Gleichwohl sieht das Gesetz allerdings auch eine Kappung vor, wenn die auf der tatsächlichen Basis ermittelten Kosten einen angemessenen Umfang überschreiten.

Die Abbildung des „angemessenen Umfanges“ der tatsächlichen Kosten erfolgt über die Festsetzung eines monatlichen Pauschbetrages. Der monatliche Pauschalbetrag (Pflegegeld) wird gemäß § 39 Abs.5 SGB VIII von der nach Landesrecht zuständigen Behörde festgesetzt.

In Sachsen-Anhalt sind die monatlichen Pauschbeträge nach Alter gestaffelt. Der z.Z aktuelle Grundbetrag beträgt für Kinder im Alter von 0 bis unter 6 Jahren 571 EUR. Der Erziehungsbeitrag  beträgt 249 EUR.

Lt. Verordnungs-Entwurf werden die Beträge 2022 voraussichtlich wie folgt angepasst: (0-6 Jahre 592 EUR, Erziehungsbetrag 255 EUR). Der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist grundsätzlich an die landesrechtlich festgesetzten Pauschbeträge gebunden.

Von diesen Pauschbeträgen abweichende Leistungen sind allerdings nach der Besonderheit des Einzelfalles möglich (§ 39 Abs. 4 Satz 3, 2. Halbsatz, SGB VIII)

In dem Fall, in dem eine Pflegeperson zugunsten der Erziehung und Betreuung des Kindes auf einen Teil ihrer Erwerbstätigkeit verzichtet und dadurch Einkommenseinbußen hat, kommt ein eine abweichende Leistung rechtfertigender Einzelfall jedenfalls in Betracht. Dies entspricht auch der Intention des Gesetzgebers, durch die Höhe des Erziehungsbeitrages genügend geeignete Pflegepersonen zu finden (BVerwG 26.3.1999-5B 129.98) und Pflegeeltern zu ermöglichen, für die Pflege und Erziehung des Kindes nicht eigene Finanzmittel einsetzen zu müssen (Jans u.a./Degener SGB VIII § 39 Rn 47).

    III.            Begründung zum Beschluss

Es erscheint sachgerecht, den Einkommensverlust bei temporärer Aufgabe der Erwerbstätigkeit einer Pflegeperson elterngeldähnlich auszugleichen. Die Erforderlichkeit der Aussetzung der Erwerbstätigkeit muss jedoch ausgehend von den konkreten Bedürfnissen des zu betreuenden Kindes erforderlich und durch den zuständigen Fachbereich (Pflegekinderdienst) fachlich begründet festgestellt und dokumentiert sein.

Kann ein Kind wegen der Berufstätigkeit der Pflegeperson nicht in einer Pflegestelle versorgt werden, obwohl diese Unterbringungsform nach seinen individuellen Bedürfnissen die geeignete Hilfeform wäre, sind wäre eine andere Unterbringung (stationär) dann zwar die Alternative, diese jedoch nicht gesetzeskonform, da im Einzelfall immer die am besten geeignete Hilfeform eingesetzt werden soll. Die Folge wären auch höhere finanzielle Belastungen des Landkreises als Kostenträger.

Die Zahlung der elterngeldähnlichen Zusatzleistung zum Pflegegeld bei voller Fortzahlung von Qualifikations- und/oder kindbezogenen Zusatzbeträgen (Sonder-/heilpädagogische Pflegestellen oder sonder-/heilpädagogische Bedarfe des Kindes) ist ebenfalls sachgerecht.

Finanziell durch Zusatzbeträge dargestellte besondere Bedarfe des Kindes sind losgelöst von Lohnersatzleistungen der Pflegeperson zu sehen und deshalb auch vollumfänglich weiter zu zahlen.

Es erfolgt eine regelhafte zeitliche Einsatzbeschränkung der Zusatzleistung auf 12 Monate bis maximal zum 14. Lebensmonat des Kindes deshalb, weil regelhaft davon ausgegangen werden kann, dass für das Kind nach dieser angemessenen (Eltern-)zeit einen Platz in der Kindertagesbetreuung in Anspruch genommen werden kann.

Ist das Kind jedoch aus z.B. gesundheitlichen Gründen (noch) nicht kindergartentauglich oder steht trotz des Rechtanspruchs (noch) kein Platz zu Verfügung, so kann im Einzelfall die Leistung auch über 12 Monate hinaus gezahlt werden, soweit die Wiederaufnahme der Berufstätigkeit davon abhängig ist, dass das Kind eine Kindertageseinrichtung besuchen kann.

Die elterngeldähnliche Zusatzleistung ist i.d.R. auf Kleinstkinder bis zum Alter von 14 Lebensmonaten beschränkt. Es können im Einzelfall auch Pflegekinder bis zu einem Alter von bis zu 6 Jahren einbezogen werden, wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalls sinnvoll erscheint der zuständige Fachbereich eine begründete Feststellung zur Erforderlichkeit getroffen und die Leitung zugestimmt hat.

    IV.            Erwartete Fallzahl

Es wird auf der Grundlage der Fallsituationen der letzten Jahre mit 2-4 Fällen im Jahr gerechnet, bei denen die Zahlung der Zusatzleistung in Frage kommt.

      V.            Zusammenfassende Bewertung

Eine solche Leistung bedeutet zunächst eine auf den ersten Blick zusätzliche Belastung des Haushaltes des Landkreises in der geschätzten Höhe. Und formalrechtlich erfüllt  eine solche Leistung  den Charakter einer eindeutig „freiwilligen Leistung“.

Trotzdem erscheint aus den beschriebenen Gründen fachlich als auch aus fiskalischen Erwägungen heraus angezeigt, über diesen Weg die Versorgung von Kleinkindern im familiären Setting im konkreten Einzelfall sicher zu stellen.

Gelingt es nicht die Versorgung des Kindes in der Hilfeform „Unterbringung in einer Pflegestelle“ umzusetzen, obwohl diese Hilfeform im Einzelfall als die am besten geeignete Hilfe festgestellt worden ist, führt das i.d.R. zwangläufig zum Einsatz weitaus kostenintensiverer Hilfeformen.

Sicher ist somit, dass sich der der kurz-, mittel- und langfristige Nutzen mit der Vermeidung von weit höheren Kosten beschreiben lässt, auch wenn diese schwer konkret zu beziffern sind.


Finanzielle Auswirkungen:

Kosten für den Landkreis: 20-60.000

EUR

Jährliche Folgekosten:      20- 60.000

EUR

Mittel bereits veranschlagt?

nein

Haushaltsjahr:

2022

Haushaltsstelle:

3.6.3.30.533114

Bemerkungen:

es wird mit 2-4 Fällen/Jahr gerechnet ( Betrag derzeit nur geschätzt, Erfahrungen liegen noch nicht vor)