Beschlussvorschlag:
Der Kreistag beschließt:
1. Grundsatzbeschluss
Die Einführung einer elterngeldähnlichen Zusatzleistung zum Pflegegeld in der Vollzeitpflege gemäß § 33 Sozialgesetzbuch (SGB) VIII soll auf freiwilliger Grundlage durch den Landkreis Stendal schnellstmöglich unter dem Vorbehalt der haushaltsseitigen Realisierbarkeit erfolgen.
2. Sachliche Voraussetzungen und Rahmen für den Einsatz der Zusatzleistung
2.1. Die elterngeldähnliche Zusatzleistung des Landkreises erhält eine Pflegeperson dann, wenn die Pflegeperson ihre Berufstätigkeit zur Betreuung eines Kindes zeitweise ganz oder teilweise aussetzt. Die Erforderlichkeit der zeitweisen Aufgabe der Berufstätigkeit muss vor der Aufgabe auf Grund einer gesonderten Feststellung des zuständigen Fachbereichs des Jugendamtes als erforderlich eingeschätzt und dokumentiert sein. Die Zustimmung der Leitung (Sachgebiets-/Amtsleitung) ist darüber hinaus zwingend.
2.2. Die elterngeldähnliche Zusatzleistung wird i.d.R. bis zu für 12 Monate gezahlt und orientiert sich in der Höhe an den Regelungen des Elterngeldes und wird neben dem Grundbetrag für die Erziehungsleistung als gesonderter zusätzlicher Betrag festgesetzt.
2.3. Der Zusatzbetrag wird in der Höhe auf die nach Elterngeldrecht maximale mögliche Höhe begrenzt.
2.4. Ein evtl. festgestellter sonder- oder heilpädagogischer Zusatzbedarf des Kindes wird daneben in vollem Umfang gewährt.
2.5. Die elterngeldähnliche Zusatzleistung ist auf Kleinkinder bis zum Alter 14 Monaten beschränkt.
2.6. Es können im Ausnahmefall auch Pflegekinder bis zu einem Alter von bis zu 6 Jahren einbezogen oder der Leistungszeitraum verlängert werden, wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalls sinnvoll erscheint, der zuständige Fachbereich eine begründete Feststellung zur Erforderlichkeit getroffen und die Leitung (Sachgebiets-/und Amtsleitung) zugestimmt hat.
Sachverhalt:
I.
Ausgangslage
Der
Gesetzgeber hat aktuell eine Anspruchsberechtigung von Pflegeeltern im
Elterngeldrecht grundsätzlich ausgeschlossen. Pflegeeltern können zwar Elternzeit nach dem
Bundeselternzeitgesetz in Anspruch nehmen, erhalten jedoch kein Elterngeld nach
dem Bundeselterngeldgesetz, wenn sie ein neugeborenes Kind/Kleinstkind in ihren
Haushalt in Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII aufnehmen und ggfls.in der Folge
ihre Berufstätigkeit zeitweise ganz oder teilweise aufgeben.
Damit steht
vor dem Hintergrund des bestehenden permanenten Bedarfs an Pflegeeltern auch das
Problem, das auch aus diesem Grund nicht genügend Pflegeeltern zur Verfügung
stehen oder gewonnen werden können. Stehen keine Pflegeeltern für Kleinstkinder
zur Verfügung, müssen diese Kinder, sofern sie nicht mehr bei ihren Eltern
verbleiben können, i.d.R. in einer stationären Einrichtung der Jugendhilfe
untergebracht werden. Je jünger das Kind, um so problematischer ist eine solche
Unterbringung für die gesunde Entwicklung, da u.a. der erforderliche stabile
Bindungsaufbau nicht möglich ist bzw. erheblich gestört wird.
Teilweise
lösbar wäre das Problem durch eine freiwillige Leistung des Landkreises,
die elterngeldähnlichen Charakter trägt („elterngeldähnliche Zusatzleistung“)
und ergänzend zum Pflegegeld befristet gezahlt wird.
Mit der
Zahlung einer elterngeldähnlichen Zusatzleistung an Pflegeeltern würde eher ermöglicht werden, dass sich geeignete und dem
Grunde nach bereite Personen an der Aufgabe der Vollzeitpflege eines Kindes
nicht durch finanzielle Einbußen gehindert sehen.
II.
Zulässigkeit
Die rechtliche Beurteilung der Zulässigkeit des Vorhabens basiert
im Wesentlichen auf einem Rechtsgutachten des Deutschen Institutes für
Jugendhilfe und Familienrecht (DIJuF) vom 02.09.2016 (JAmt 2016, 545)
Gemäß § 39 Abs.1 SGB VIII ist bei einer Unterbringung eines Kindes
in einer Pflegestelle auch der notwendige Unterhalt des Kindes außerhalb des
Elternhauses sicherzustellen. Der Unterhalt umfasst die Kosten für den
Sachaufwand („Grundbetrag“) als auch die Pflege und Erziehung des Kindes
(„Erziehungsbetrag“). Beides zusammen wird auch als Pflegegeld bezeichnet. Der
Rahmen für die Bemessung der Höhe des Pflegegeldes ist gesetzlich im § 39 Abs.
4 - 6 SGB VIII bestimmt.
Nach diesen Regelungen wird bei der Bemessung des Grundbetrages
per Gesetz nicht auf die Absicherung des Existenzminimums abgestellt, sondern
auf die konkreten Lebensverhältnisse der Pflegeperson (tatsächliche Kosten).
Damit soll vermieden werden, dass für die Pflege und Erziehung eines Kindes
nicht eigene Finanzmittel der Pflegeperson eingesetzt werden müssen.
Gleichwohl sieht das Gesetz allerdings auch eine Kappung vor, wenn
die auf der tatsächlichen Basis ermittelten Kosten einen angemessenen Umfang
überschreiten.
Die Abbildung des „angemessenen Umfanges“ der tatsächlichen Kosten
erfolgt über die Festsetzung eines monatlichen Pauschbetrages. Der monatliche
Pauschalbetrag (Pflegegeld) wird gemäß § 39 Abs.5 SGB VIII von der nach
Landesrecht zuständigen Behörde festgesetzt.
In Sachsen-Anhalt sind die monatlichen Pauschbeträge nach Alter
gestaffelt. Der z.Z aktuelle Grundbetrag beträgt für Kinder im Alter von 0 bis
unter 6 Jahren 571 EUR. Der Erziehungsbeitrag beträgt 249 EUR.
Lt. Verordnungs-Entwurf werden die Beträge 2022 voraussichtlich
wie folgt angepasst: (0-6 Jahre 592 EUR, Erziehungsbetrag 255 EUR). Der
örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist grundsätzlich an die
landesrechtlich festgesetzten Pauschbeträge gebunden.
Von diesen Pauschbeträgen abweichende Leistungen sind allerdings
nach der Besonderheit des Einzelfalles möglich (§ 39 Abs. 4 Satz 3, 2.
Halbsatz, SGB VIII)
In dem
Fall, in dem eine Pflegeperson zugunsten der Erziehung und Betreuung des Kindes
auf einen Teil ihrer Erwerbstätigkeit verzichtet und dadurch Einkommenseinbußen
hat, kommt ein eine abweichende Leistung rechtfertigender Einzelfall jedenfalls
in Betracht. Dies entspricht auch der Intention des Gesetzgebers, durch die
Höhe des Erziehungsbeitrages genügend geeignete Pflegepersonen zu finden
(BVerwG 26.3.1999-5B 129.98) und Pflegeeltern zu ermöglichen, für die Pflege
und Erziehung des Kindes nicht eigene Finanzmittel einsetzen zu müssen (Jans
u.a./Degener SGB VIII § 39 Rn 47).
III.
Begründung zum Beschluss
Es erscheint sachgerecht, den Einkommensverlust bei temporärer
Aufgabe der Erwerbstätigkeit einer Pflegeperson elterngeldähnlich
auszugleichen. Die Erforderlichkeit der Aussetzung der Erwerbstätigkeit muss
jedoch ausgehend von den konkreten Bedürfnissen des zu betreuenden Kindes
erforderlich und durch den zuständigen Fachbereich (Pflegekinderdienst)
fachlich begründet festgestellt und dokumentiert sein.
Kann ein Kind wegen der Berufstätigkeit der Pflegeperson nicht in
einer Pflegestelle versorgt werden, obwohl diese Unterbringungsform nach seinen
individuellen Bedürfnissen die geeignete Hilfeform wäre, sind wäre eine andere
Unterbringung (stationär) dann zwar die Alternative, diese jedoch nicht
gesetzeskonform, da im Einzelfall immer die am besten geeignete Hilfeform
eingesetzt werden soll. Die Folge wären auch höhere finanzielle Belastungen des
Landkreises als Kostenträger.
Die Zahlung der elterngeldähnlichen Zusatzleistung zum Pflegegeld
bei voller Fortzahlung von Qualifikations- und/oder kindbezogenen
Zusatzbeträgen (Sonder-/heilpädagogische Pflegestellen oder
sonder-/heilpädagogische Bedarfe des Kindes) ist ebenfalls sachgerecht.
Finanziell durch Zusatzbeträge dargestellte besondere Bedarfe des
Kindes sind losgelöst von Lohnersatzleistungen der Pflegeperson zu sehen und
deshalb auch vollumfänglich weiter zu zahlen.
Es erfolgt eine regelhafte zeitliche Einsatzbeschränkung der Zusatzleistung
auf 12 Monate bis maximal zum 14. Lebensmonat des Kindes deshalb, weil
regelhaft davon ausgegangen werden kann, dass für das Kind nach dieser
angemessenen (Eltern-)zeit einen Platz in der Kindertagesbetreuung in Anspruch
genommen werden kann.
Ist das Kind jedoch aus z.B. gesundheitlichen Gründen (noch) nicht
kindergartentauglich oder steht trotz des Rechtanspruchs (noch) kein Platz zu
Verfügung, so kann im Einzelfall die Leistung auch über 12 Monate hinaus
gezahlt werden, soweit die Wiederaufnahme der Berufstätigkeit davon abhängig
ist, dass das Kind eine Kindertageseinrichtung besuchen kann.
Die elterngeldähnliche Zusatzleistung ist i.d.R. auf Kleinstkinder
bis zum Alter von 14 Lebensmonaten beschränkt. Es können im Einzelfall auch
Pflegekinder bis zu einem Alter von bis zu 6 Jahren einbezogen werden, wenn
dies nach der Besonderheit des Einzelfalls sinnvoll erscheint der zuständige
Fachbereich eine begründete Feststellung zur Erforderlichkeit getroffen und die
Leitung zugestimmt hat.
IV.
Erwartete Fallzahl
Es wird auf der Grundlage der Fallsituationen der letzten Jahre
mit 2-4 Fällen im Jahr gerechnet, bei denen die Zahlung der Zusatzleistung in
Frage kommt.
V.
Zusammenfassende Bewertung
Eine solche
Leistung bedeutet zunächst eine auf den ersten Blick zusätzliche Belastung des
Haushaltes des Landkreises in der geschätzten Höhe. Und formalrechtlich
erfüllt eine solche Leistung den Charakter einer eindeutig „freiwilligen
Leistung“.
Trotzdem
erscheint aus den beschriebenen Gründen fachlich als auch aus fiskalischen
Erwägungen heraus angezeigt, über diesen Weg die Versorgung von Kleinkindern im
familiären Setting im konkreten Einzelfall sicher zu stellen.
Gelingt es
nicht die Versorgung des Kindes in der Hilfeform „Unterbringung in einer Pflegestelle“
umzusetzen, obwohl diese Hilfeform im Einzelfall als die am besten geeignete
Hilfe festgestellt worden ist, führt das i.d.R. zwangläufig zum Einsatz weitaus
kostenintensiverer Hilfeformen.
Sicher ist
somit, dass sich der der kurz-, mittel- und langfristige Nutzen mit der
Vermeidung von weit höheren Kosten beschreiben lässt, auch wenn diese schwer
konkret zu beziffern sind.
Finanzielle Auswirkungen:
Kosten für den Landkreis:
20-60.000 |
EUR |
Jährliche
Folgekosten: 20- 60.000 |
EUR |
Mittel bereits
veranschlagt? |
nein |
Haushaltsjahr: |
2022 |
Haushaltsstelle: |
3.6.3.30.533114 |
Bemerkungen: es wird mit 2-4
Fällen/Jahr gerechnet ( Betrag derzeit nur geschätzt, Erfahrungen liegen noch
nicht vor) |
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